Rund 120 in der Schweiz tätige Social Entrepreneurs mit über 2’500 Beschäftigten haben kürzlich an einer Umfrage zu diesem Thema teilgenommen. Social Enterprises erwirtschaften mindestens die Hälfte ihres Umsatzes mit eigenen Dienstleistungen oder Produkten und leisten einen positiven Beitrag zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Fast 50% dieser Unternehmen werden von Frauen geführt. Zwei profilierte Social Entrepreneurs berichteten am vergangenen Freitag in der Paulus Akademie (Zürich) eindrücklich und kompetent über Herausforderungen, Erfolge und ihre persönliche Motivation.
«Social Entrepreneurs sind die transformative Kraft für ein sozialeres und zukunftsorientiertes Wirtschaftssystem.» Mit diesen Worten definiert der im Jahr 2017 gegründete Verein SENS – das Netzwerk der Schweizer Social Entrepreneurs – die Bedeutung und den Anspruch seiner Mitglieder. SENS (Social Entrepreneurship Schweiz) ist deren wichtigste nationale Plattform. Mit Daniela Merz, CEO der Dock Gruppe mit 28 Standorten in der Schweiz, und Thomas Brämi, CEO einer von ihm gegründeten Personal- und Temporärfirma für Mitarbeitende mit Behinderung, konnte Dana Sindermann, Leiterin des Fachbereichs Wirtschafts- und Sozialethik der Paulus Akademie, zwei ausgewiesene Experten begrüssen und in einem offenen und angeregten Gespräch viele wertvolle und spannende Aspekte vertiefen.
«Wir sind erfolgreich, wenn unsere Zielgruppe erfolgreich ist.»
Seit 2002 ist die diplomierte Primarlehrerin Daniela Merz CEO der Dock-Gruppe, die heute mit rund 1’400 Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose in den Bereichen Industrie und Recycling das grösste Sozialunternehmen dieser Art in der Schweiz ist. Sie ist mit diesem Programm in sechs Kantonen und derzeit an 28 Standorten aktiv, die, wie sie betont, keine Subventionen beanspruchen. Zu den aktuellen Herausforderungen gehört, dass es im Moment eher zu wenig Arbeitslose gibt, aber das kann sich schnell ändern. Auch wie die Dock-Gruppe mit den hohen Energiepreisen umgehen soll, weiss sie noch nicht. Da viele ihrer Arbeitsplätze in meist alten Industriegebäuden untergebracht sind, schlagen die Energiekosten stark zu Buche.
Die Haupteinnahmen der Dock AG stammen aus Aufträgen, die im ersten Arbeitsmarkt in der Schweiz selbst nicht kostendeckend ausgeführt werden könnten. Damit bietet die Dock AG ihren Wirtschaftspartnern eine Alternative zur Auslagerung ins Ausland. Regelmässig verliert sie dabei Menschen an den ersten Arbeitsmarkt, die sich wieder an eine geregelte Tagesstruktur gewöhnt haben und zuverlässig arbeiten. Doch genau das ist ihr Ziel: «Wir sind erfolgreich, wenn unsere Zielgruppe erfolgreich ist.» Das heisst: wieder eine geregelte und ordentlich bezahlte Arbeit zu finden. Das ist für sie selbst, für die rund 250 Festangestellten der Dock-Gruppe und für die Langzeitarbeitslosen die grösste Freude und Motivation. Denn, so sagt sie auf Nachfrage, diese Menschen arbeiten gerne, weil sie, wie wir alle, gerne stolz auf sich und ihre Leistung sind und sich darüber freuen. Und weil viele in prekären Verhältnissen leben müssen, der sie mit geregelter Arbeit entfliehen können.
Sinnvolle Arbeit und Beitrag zu gutem Betriebsklima
Letztlich, so Daniela Merz, sei es eine Systemfrage für die ganze Schweiz: Wie gehen wir mit Menschen um, die nicht ins Schema passen? Von den Behörden wünscht sie sich oft mehr Flexibilität und Pragmatismus, auch gegenüber Menschen aus anderen Ländern, die oft unter Lebensgefahr in die Schweiz geflüchtet sind und nun nicht arbeiten dürfen. «Wir können in der Schweiz viel erreichen, weil vieles finanziell tragbar ist, aber wir machen es uns oft unnötig schwer, sei es, weil wir die Leute selber aus diesem zweiten Arbeitsmarkt ausschliessen, sei es, weil jede (Amts-)Stelle auf eine andere verweist».
Mit ähnlichen Problemen, aber in ganz anderer Grössenordnung, kämpft Thomas Bräm. Er hat 2014 die Personal- und Temporärfirma Mitschaffe in Schaffhausen gegründet. Zusammen mit seiner Frau und drei Mitarbeitenden teilt er sich knapp 300 Stellenprozente. Aktuell betreuen sie rund 130 Menschen mit körperlichem oder geistigem Handicap, die sie an Unternehmen vermitteln konnten. Da es sich rechtlich um Temporärmitarbeitende handelt, gehen die Arbeitgeber kein Risiko ein. Auch wenn er früher deutlich mehr verdiente, bereut er den Wechsel nicht. «Ich wollte raus aus der Komfortzone, Neues wagen.» Die aktuelle Diskussion um Diversity & Inklusion hilft seinem Unternehmen. Heute wird er sogar von Unternehmen angefragt. Thomas Bräm wundert das nicht. Aus vielen positiven Berichten weiss er, dass Menschen mit Behinderung an ihrem neuen Arbeitsplatz oft eine wichtige soziale Funktion übernehmen und zu einem guten Betriebsklima beitragen.
Ratschläge an Interessierte mögen Thomas Bräm und Daniela Merz keine geben, stellen aber fest: Es braucht einen langen Schnauf, es braucht vom ersten Tag an ein Konzept, wie das Geld verdient werden soll und nach der Pionierphase stellt sich bald die Frage der Skalierbarkeit. Wie kann das, was sie machen, übertragen und ausgeweitet werden?
Gemeinsame Veranstaltung von Paulus Akademie und VCU Zürich
Mit lang anhaltendem Applaus bedankten sich die Anwesenden bei der bestens vorbereiteten Moderatorin und den beiden Gästen für die offenen und interessanten Ausführungen. Beim anschliessenden Apéro wurde die Gelegenheit zum weiteren Austausch genutzt und es konnten sogar mögliche Vorstellungsgespräche geführt werden. Diese Veranstaltung, die von der Paulus-Akademie in Zusammenarbeit mit der VCU Zürich organisiert wurde, hätte ein paar Interessierte mehr verdient. Eigentlich ist so eine Kooperation eine gute Sache. Wir werden uns zusammensetzen und überlegen, wie und in welcher Form wir im nächsten Jahr mit der Paulus-Akademie etwas realisieren können.
Fotos und Text Roland Gröbli