«Hoffnung ist die erste Bürgerpflicht»

In welche Richtung bitteschön? Blick von der Brücke der Hohlstrasse auf die Bahngeleise, die hier von Thalwil herkommend in Richtung Limmattal bzw. Hauptbahnhof abzweigen. (Foto Roland Gröbli am 23.12.2024)

«Ruhe ist die erste Bürgerpflicht». Dieses geflügelte Wort des deutschen Ministers Graf von der Schulenburg († 1816) nach der verlorenen Schlacht bei Jena (1806) steht Pate für den Titel unserer Gedanken zum neuen Jahr. Auch die Zürcher Philosophin Ursula Renz (*1968) greift in ihrem jüngsten Essay in der NZZ vom 7. Dezember 2024 zurück in die Vergangenheit: Hoffen sei eine Sache der Pflicht, zitiert sie den Philosophen Hermann Cohen (†1918). «Ich schreibe nach Pflicht & Gewissen, aber meine Zuversicht ist nur historisch, keineswegs aktuell», schrieb er 1916 an einen Freund.

Gedanken zum Neuen Jahr, Co-Präsidium VCU Zürich

Der Rückgriff auf vergangene, harte Kriegszeiten als Einstieg in den Ausblick auf das Jahr 2025 sagt schon fast alles. «Der neue Mensch steht nicht rechts und nicht links, er geht.» Dieser selbstbewusste, die Zukunft herbeisehnende Satz des Schweizer Schriftstellers Herbert Meier (†2018) aus dem Jahr 1969 erinnert uns heute vor allem daran, wie wenig Zukunftsglaube uns geblieben ist. Der Soziologe Andreas Reckwitz (*1970) hat eben in einem viel beachteten Sachbuch den ‘Verlust’ als «Grundproblem» der Moderne diagnostiziert und kenntnisreich beschrieben.

Verlusterfahrung statt Zukunftsglauben?

Verlusterfahrung statt Zukunftsglauben, ist das unser neues Leben? Bevor wir auf diese Frage eingehen, wollen wir kurz bei Ursula Renz verweilen. Sie ist in der VCU Zürich keine Unbekannte. Ihre Eltern sind langjährige Mitglieder des Club Felix, mit dem wir in Zürich eng zusammenarbeiten. Sie selbst ist heute Professorin für Philosophie in Graz und stand uns ganz zu Beginn der Pandemiezeit für einen spannenden VCU-Videotalk zum Thema «Orientierung und Gelassenheit: Der lange Atem der Philosophie» zur Verfügung. Wir erinnern uns gerne und gut an ihre Ausführungen im Mai 2020 (siehe hier).

Als Co-Präsidium der VCU Zürich wollen wir die heutige Verlusterfahrung inklusive des Verlustes eines optimistischen Zukunftsglaubens keineswegs kleinreden, aber mit einem nüchternen Blick auf unsere Zeit und die Umstände, in denen wir leben, haben wir doch den Eindruck, dass unsere objektive Realität nicht vergleichbar ist mit den Lebensumständen der Menschen 1806, 1916 oder heute in einem der vielen Konfliktgebiete weltweit.

Mit und in der VCU sich zu Zuversicht durchringen

Und wir können uns keine geeignetere Vereinigung vorstellen, als unsere eigene, um solche und ähnliche Fragen unvoreingenommen, offen, im Austausch untereinander und mit spannenden Gästen immer wieder zu diskutieren. Mit drei Impulsreferaten (Sterbebegleitung, Ethik in Steuerfragen und Digitale Jobsuche), zwei Ausstellungsbesuchen (zu den Themen Macht und Kreislaufwirtschaft/Abfall), der Generalversammlung als Gast der 100-jährigen Freien Katholischen Schulen Zürich, der Follow-up-Veranstaltung für Gründerinnen und Gründer, der VCU Schweiz Jahrestagung in Basel zu den Themen Tierwohl und Ernährung sowie einem spannenden VCU-Videotalk zu den US-Wahlen haben wir auch 2024 einen breiten Horizont an aktuellen Themen abgedeckt und in angeregten Gesprächen vertieft und ergänzt.

Ist das nicht eine gute Vorbereitung auf eine Zukunft, die zwar auch schon heller aussah, aber dennoch viel Grund zur Zuversicht gibt? Als christliche Vereinigung erinnern wir auch gerne daran, dass das christliche Glaubensverständnis auf der Frohen Botschaft gründet. Jede Messe, jeder Gottesdienst endet mit dem Segenswort «Gehet hin in Frieden», was Anspruch und Wunsch zugleich ist. Tragt bei zum Frieden (dem inneren wie dem äusseren), fördert, sucht und findet ihn.


«Historische Zuversicht hat ihren Grund nicht in einer Einschätzung darüber, dass etwas in Zukunft eintreten wird, sondern in einer Entscheidung, diese Zukunft zu wollen. Sie meint eine Haltung, die das Verhältnis von Bedingung und Folge umdreht. Wer sich in dieser Weise zur Zuversicht durchringt, macht seine Haltung zum Grund für seinen Glauben an eine bestimmte Zukunft. Nicht weil diese möglich ist, sondern damit sie es wird.» (Ursula Renz)


Ebenso zitieren wir gerne noch einmal Ursula Renz aus ihrem erwähnten Essay: «Historische Zuversicht hat ihren Grund nicht in einer Einschätzung darüber, dass etwas in Zukunft eintreten wird, sondern in einer Entscheidung, diese Zukunft zu wollen. Sie meint eine Haltung, die das Verhältnis von Bedingung und Folge umdreht. Wer sich in dieser Weise zur Zuversicht durchringt, macht seine Haltung zum Grund für seinen Glauben an eine bestimmte Zukunft. Nicht weil diese möglich ist, sondern damit sie es wird.»

Ein dreifaches Dennoch wider die Erschöpfung

Ist die Alltags-Erschöpfung so gross, dass Energie und Zeit für eine persönliche Teilnahme nicht mehr reichen? Dem stellen wir ein dreifaches Dennoch entgegenstellen:

  • Es gibt Ereignisse und Anlässe im Leben, die Kraft kosten, und andere, die Kraft geben. In den VCU-Anlässen finden und teilen wir positiv konnotierte Anregungen.
  • An den VCU-Anlässen tauschen wir uns mit Mitmenschen aus, pflegen Gespräche und finden Gleichgesinnte. Begegnungen geben Kraft.
  • Weniger («Social») Medienkonsum, mehr Tiefe in der Aufnahme von Informationen, das heisst: mehr Lektüre von Büchern, weniger Konsum sekundengetakteter Clips. Mehr persönliche Begegnungen, mehr Abgrenzung zu Infotainment. Die Liste liesse sich fortsetzen.

Diese Anregungen haben wir schon vor einem Jahr geschrieben. Doch sie haben nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Wir freuen uns auf viele spannende Begegnungen im neuen Jahr. Packen wir es gemeinsam an. Verstehen wir die Pflicht zur Hoffnung als positive Kraft, die unseren Blick schärft, Kraft gibt und einen positiven Kreislauf, im Denken wie im Handeln fördert.

Mit den besten Wünschen und bis bald!

 

Roland Gröbli                                                        Myriam Mathys

Co-Präsident der VCU Zürich                            Co-Präsidentin der VCU Zürich

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